Das Warten

03.05.2010 Ruhetag

 

Das Wetter ist in der früh wider erwarten schön mit freiem Himmel, jedoch deutlich Windfahnen an den Graten. Man hätte doch vielleicht oben ausharren können – sinnloser Gedanke: Wir sind unten und somit ist dieser Punkt nicht diskutabel. Bei den meisten ist heute Großwaschtag. Nach der heißen Dusche wasche auch ich mein gesamtes Kleidersortiment, hoffend, dass es in den nächsten Tagen trocknet. Am Nachmittag kommt jedoch wie vom Wetterbericht vorhergesagt Schnee, der mir meine Trockenambitionen etwas zunichte macht. Mittags besucht uns Ashley, die Basecamp Managerin der Kleinexpedition von Chris Warner (USA). Sie macht ein Interview mit uns und berichtet über die Fortschritte von Chris an einem Versuch einer Neuroute im Bereich des Südostgrates sowie der Ostflanke. Sie berichtet ebenso, dass die britische Militärexpedition am Südostgrat noch nicht zum Col vorgestoßen ist und zeitlich wohl etwas im Rückstand ist. Chris selber ist wieder am Berg und plant den Gipfel für den 05.05. Der nun notwendige Anruf bei unserem "Wetterpapst des Höhenbergsteigens" bringt uns etwas mulmige Gefühle. Ab dem 08. Mai soll der Jetstream bis zum ca. 10. Mai zunehmen. Unter diesen Umständen ist ein Gipfelgang nicht ratsam. Also besteht nun die Möglichkeit gleich morgen, nach 1,5 Ruhetagen, aufzubrechen und den Gipfel für den 7.Mai zu planen oder abzuwarten und eher den 12. Mai anzupeilen. Dies wäre der letztmögliche Gipfeltag vor der Abreise aus dem ABC. Allerdings ist ach die Wetterentwicklung für de Zeit nach dem 10 Mai ungewiss. Ein Pokerspiel mit dem Wetter .......

Am Abend werden wir von unseren Nachbarn zum Filmschauen eingeladen. Um 20:00 finden wir uns in dem kleinen grünen und vor allem warmen Zelt ein. Auf der Leinwand läuft bereits ein Actionfilm. Im Zelt ist ein Gas Heizstrahler, die wohlige Wärme tut gut und der kleine Beamer macht auf der Leinwand ein sehr gutes Bild. Es wird vortrefflicher Kaffe serviert. Zusammen suchen wir einen weiteren Film aus – "The Punisher" – nicht gerade ein intellektuell ansprechender Film, aber dies stört, bis auf Steffi, die Männerrunde nicht. Ein penetrantes Piepsen wird im Verlauf von Arnold nur kommentiert: "Don`t worry, it`s gonna stop". Beim zweiten mal ist dies ein langgezogener penetranter Ton, der nach einer Weile im Abschalten der gesamten Anlage resultiert ....die Solarenergie hat doch untertags nicht die ganzen Batterriereserven aufladen können. Also geht es nun bald ins heimische, aber kalte Schlafzelt.

 

4.05.2010 Ruhetag II

 

Der Himmel ist ungewohnt bedeckt und nur langsam und zögerlich drängen sich die Sonnenstrahlen durch die Wolken. Nach den ausführlichen Frühstück wird Schach gespielt und geratscht. Ebenso werden die Sauerstoffflaschen mitsamt der Masken, sowie die Benutzung des Certec Bags demonstriert. Nach dem Mittagessen ruft der Luis bei Wettergott Charly Gabel in Innsbruck an und lässt sich die, leider etwas unerfreulichen, Wetterneuigkeiten durchgeben. Alles in allem heißt es, dass erst der 12. Mai ein guter Gipfeltag erscheint – soweit aus heutiger Sicht voraussagbar. Damit wird der Gipfeltag ziemlich ans Ende unseres Aufenthaltes verlegt. Da am 9. und 10. Mai jedoch der Jetstream deutlich aktiver werden soll, ist dies keine Gipfeloption. Bei 100km/h Wind und Schnee möchte man nicht in Gipfelnähe eines recht exponierten 8000ders sein. Als heißt es für uns, das ABC zu hüten. Der vorerst geplante Abmarschtag ist der 9. Mai. Vier Tage ABC verbleiben uns – das ist auch Expeditionsbergsteigen.

Zur freudigen Überraschung aller bringt heute Nima zwei Rollen Toilettenpapier, "von den anderen ausgeliehen" ins Gemeinschaftszelt und verkündet "...für die nächsten zwei Wochen" ...das Toilettenpapier ist leider aktuell bei uns Mangelware. Während dies für uns Europäer ein Grundessential ist, können sich die Nepali, die Toilettenpapier nicht verwenden, nicht vorstellen was wir mit diesen Unmengen an Papierrollen machen....

Den Abend lassen wir im Zelt ausklingen, wo wir einen Kinofilm auf dem Laptop anschauen.

 

05.05.2010 Akute Gastroenteritis

 

Nach Mitternacht weckt mich ein unangenehmes Gefühl im Gesamten Bauchraum auf und befiehlt mir schleunigst mich aus dem Schlafsack zu bewegen. Nun erkenne ich in der reinsten Form seiner Bedeutung was der Ausdruck „Brechdurchfall“ zu bedeuten hat. Der gesamte Tag ist dann geprägt von umherschleichen zur Toilette und dem Versuch genügend Flüssigkeit aufzunehmen. Es ist unglaublich wie ein Durchfall auf dieser Höhe den Menschen seiner sämtlichen Kräfte zu berauben vermag. Der Schlaf im Zelt, wo sich Temperaturen von Minute zu Minute abwechseln ist zwar nicht einfach, aber nötig. Am Abend kommt Tunç zum Abendessen. Er ist heute ein Paar Meter Richtung C II gegangen bis er festgestellt hat, dass dies auch alle anderen Expeditionen getan haben. Da er keine Lust auf ewige Wartezeiten an den Fixseilen hatte ist er kurzerhand umgekehrt und möchte morgen hinauf.

 

06.05.2010 Der Weg der Besserung

 

Ich wache um sechs Uhr auf. Draußen ist es nebelig, bedeckt und überraschend warm. Der Weg zur Toilette bestätigt mir mein eigenes Gefühl, dass es aufwärts geht. Die Apathie ist weitgehend weg und ich fühle mich wieder wie ein normaler Mensch. Jetzt fehlt es noch, den Husten vollständig auszukurieren. Dazu habe ich noch drei Tage – meine ich. Heute brechen Singhi und Nima auf, um die zwei vor Makalu La liegenden Depots aufzulösen und die Zelte und Kocher auf  CIII zu bringen.

 

07.05.2010 Spaziergang auf den Westgrat

 

Ich fühle mich heute viel besser. Nach dem Frühstück entscheide ich mich auf den wunderschönen, markanten Westgrat zu gehen. Von hier muss man etwas absteigen den Gletscher queren und dann über eine Geröllflanke auf den Westgrat gelangen. Ich möchte mit den Weg anschauen und auch sehen wie lange der Zustieg dauert. Nach ca. 1,5h bin ich auf der anderen Seite des Gletschers und mache Siesta und möchte, wie vereinbart funken. Da stelle ich fest, dass ich das Gerät im Zelt vergessen habe. Hoffentlich machen sich die Leute im ABC keine Sorgen. Weiter steige ich über grobes Blockwerk hinauf. Nach noch einer Stunde bin am Westgrat wo ich Steinmänner entdecke. Das es noch nicht spät ist und die Kletterei am warmes festen Grat sehr ansprechend ist, steige ich weiter bis knapp vor den Übergang zum Eis. Zeitlich ist es eh mein Umkehrpunkt und somit mache ich mich auf den Heimweg. Die Ausblicke vom Westgrat in die Wand und den Grat sind atemberaubend. Weiterhin reizt mich jedoch insbesondere der Westgrat, der eine klare Linie Richtung Gipfel verfolgt. Zwei Stunden später sitze ich bei Nepali Tea im Messzelt und erfahre dass die Winde weiterhin recht stark im Gipfelbereich sind und der Jet Stream nur langsam abziehen möchte. Der Gipfelgang wird sich noch weiter verschieben – keiner ist darüber zufrieden.

 

08.05.2010 Noch einmal Spaziergang

 

Diesmal gehen Jürgen, Helga, Christoph, Steffi und ich gemeinsam spazieren. Die anderen möchten sich für deren weiteren Weg den East Col anschauen. Und so schlendern wir Richtung BC über die Geröllhalde. Kurz vor dem Haupttal kehren wir um und steigen sehr zwanglos und gemütlich wieder zum ABC hinauf. Hier untern ist immer noch geniales klares Wetter und man möchte fast Richtung Gipfel aufbrechen. Die starken Windfahnen an den Graten erzählen uns jedoch wie die Bedingungen oben sind.... und da möchte man nicht gerade oben sein.

 

09.05.2010 Warten auf das Ende des Jet-Streams

 

Weiter klares Wetter hier unten und Sturm oben. Es stehen Waschen, Duschen etc. an. Am Nachmittag wird im Messzelt Poker gespielt. Wir warten gespannt auf den morgigen Tag und den neuen Wetterbericht. Es wird spannend werden. Mittlerweile gehen auch unseren Köchen die Vorröte zu Ende. Das leidige Toilettenpapier versucht ein Koch von Tshiering, dem Leiter der französisch-amerikanischen Expedition, an uns für einen Wucherpreis von 22 Euro zu verkaufen. Zum Glück ist das Papier auch noch nass geworden, so dass wir nicht in Versuchung kommen diesen Preis zu zahlen.

 

10.05.2010 Tag der Entscheidung

 

Seit dem morgen sind überall Diskussionen über den möglichen weiteren Verlauf zu hören. Es wird viel theoretisiert und jeder wartet gespannt auf den neuen Wetterbericht von Charly Gabl. Zwischendurch besucht uns Yurii, der Kameramann der Ukrainischen Expedition, die gerade die Paragon Ridge erreicht haben und auf gutes Wetter warten um den Gipfel zu erreichen. Sie haben einen neuen Zustieg zum Westgrat etabliert, der Maximalschwierigkeiten von 70° Eis und Felsschwierigkeiten bis 7b erreicht. Die starken Männer der Expedition gehören zum Ukrainischen Nationalteam. Wir erfahren auch, dass Chris Warner, der mit seinem Partner eine neue Route durch die Südwand machen wollte, aufgrund eines Lungenproblems per Hubschrauber evakuiert werden musste. Die Britische Expedition des SO Grates ist gerade dabei CIII zu etablieren – zum Gipfel fehlt noch ein ganz großes Stück.

Der Wetterbericht sagt uns für den 16. Mai geringe Windgeschwindigkeiten um die 15 km/h. Ein Wermutstropfen allerdings ist, dass die Tage vor diesem möglichen Gipfeltag Windgeschwindigkeiten von bis zu 80km/h aufwarten sollen. Bei diesem Sturm werden wir uns also aber bereits auf 7400-7800 Hm befinden. Es ist allerdings die einzige Möglichkeit für einen Gipfelversuch. Wir freuen uns, dass es vorwärts geht, allerdings schwelgt der Sturmgedanke immer mit. Also noch zwei Ruhetage, oder besser gesagt, Wartetage, und dann geht es hinauf. Am Abend vergnügt sich die Hälfte der Besatzung mit einem Kinofilm im Messzelt.

 

11.05.2010 Wetterprognose ändert sich

 

Über Nacht hat es wieder mehr Wind gegeben, der im Laufe des Vormittags auch noch weiter zugenommen hat. Weiterhin stecken wir im ABC in der Sonne und schaue den Windfahnen des Makalu zu, die angeblich vom Hillary Base Camp bis 2km lang zu sehen sind. Bereits vor dem Mittagessen ruft Luis beim Charly Gabel an und verkündet uns die schlechte Nachricht: Weiterhin starke Winde auf Gipfelniveau, am 16ten, dem erwünschten Gipfeltag 60km/h. Das Leidige zuvor jedoch 100 km/h am Vortag. Nach einer langen Diskussion kommen wir jedoch zu dem Ergebnis, dass dies nichts an unserem Zeitplan ändert und wir wie geplant am 13twn aufbrechen. Wie weit wir kommen ist fraglich. Ein minimaler Hoffnungsschimmer ist die Aussage der Meteorologen, die nach einem US amerikanischen Wettermodel tatsächlich geringe Winde für den 16ten angeben. Wir glauben jedoch Charly Gabl mehr......

 

Joe

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